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Entwicklungen in der Geriatrie für die nächsten Jahre (ergebnisse Studie Füsgen)

Gerontopsychiatrisch-Geriatrischer Verbund Charlottenburg-Wilmersdorf e.V.

Entwicklungen in der Geriatrie für die nächsten Jahre (ergebnisse Studie Füsgen)

von Mortimer Graf zu Eulenburg, Projektmanager im GPV e.V.

Die medizinische Versorgung älterer Menschen mit Demenz wird bislang vor allem im Hinblick auf die pflegerische Versorgung und die Auswirkungen auf die Pflegeversicherung diskutiert. Aber der Wandel in der demographischen Entwicklung bewirkt auch für die klinische Versorgung erheblichen Änderungs- und Anpassungsbedarf.Bereits im Jahr 2020 wird jeder fünfte Patient in einem Krankenhaus ein dementiell veränderter Mensch sein (1) und diese Aussicht bedeutet für Krankenhäuser in mehrfacher Hinsicht eine erhebliche Herausforderung:
DER entscheidende Faktor für die wirtschaftliche Über lebensfähigkeit eines Krankenhauses ist vor dem Hintergrund des G-DRG Systems die Effizienz und Effektivität, mit der das Krankenhaus die notwendige medizinische Behandlung erbringt. Die gängige Aufbau- und Ablauforganisation heutiger Krankenhäuser ist aber auf Menschen mit Demenz nicht eingerichtet:

  • Menschen mit Demenz benötigen einen erheblich höheren Zeitaufwand in der ärztlichen und pflegerischen Zuwendung.
  • Menschen mit Demenz können nicht problemlos mit weiteren Patienten „gemischt“ untergebracht werden.
  •  Angehörige/ Betreuer müssen für ärztliche Therapieentscheidungen regelmäßig hinzugezogen werden.
  •  Mit der Demenz besteht zumeist eine hohe Zahl von zusätzlichen Krankheitsformen (Komorbidität), die sich nicht in das bestehende System von Fachabteilungen (und ebenso das G-DRG – System) einfügen mögen.
  •  Ärztlicher und pflegerisches Personal besitzen häufig keine geriatrische/gerontopsychiatrische Ausbildung, geschweige denn Erfahrung.

Weitere Aspekte kommen dazu, wenn man das Krankenhaus in seiner Wechselwirkung auf die weiteren Akteure des Gesund-heits systems betrachtet. Demen tiell veränderte Menschen erfahren durch einen Krankenhausaufenthalt häufig eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesamtzustandes wodurch die Krankenhausbehandlung nicht nur an sich schon teuer ist, sondern auch zusätzliche Folgeschäden verursacht. Zudem stellt sich bei Erstdiagnose bzw. „Demaskierung“ einer bereits aus geprägten Demenz das Problem der adäquaten weiteren medizinischen Versorgung und ihrer Sicherstellung besonders dringlich. Die sogenannte „Einbahnstraße“ in der Abfolge Häuslichkeit > Klinik > Heimaufenthalt ist keine freie Entscheidung der Klinik, sondern die Kapitulation vor der ungeklärten Wohnsituation in der eigenen Häuslichkeit der Patienten. Da die Personen in Einzelhaushalten tendenziell stark zunehmen, ist davon auszugehen, dass sich diese Problematik noch weiter verschärfen wird (2).

Vera Schöpp, Drachensteigen im Herbst, Tempera, 40 x 30 cm, 2011

Vera Schöpp, Drachensteigen im Herbst, Tempera, 40 x 30 cm, 2011

In der Studie „Patienten mit Gedächtnisstörungen im Krankenhaus – Umgang mit therapeutischen und pflegerischen Problemen“ (3) haben die Autoren Dr. Dag Schütz und Prof. Ingo Füsgen zwei Umfragen ausgewertet, in denen sie Krankenhäuser zu ihrem organisatorischen Umgang mit der Herausforderung dementiell veränderter Patienten befragt haben. Die Befragungen richteten sich zum einen auf die Organisation der Versorgung von Menschen mit Demenz, als auch auf die spezifischen Probleme dieser Versorgung.
Die erste Umfrage richtete sich an das Pflegepersonal um die wesentlichen organisatorischen bzw. pflegetechnischen Probleme im Umgang mit diesen Patienten zu erfassen. Als besonders schwierige Situationen wurden durch die Pflegenden benannt: Nächtliche Unruhe (92,7 % der Befragten), Aggressives Verhalten (90 %), Nahrungsverweigerung bzw. Verirren (jeweils 87 %) sowie das Verlieren von Patienteneigentum (85 %) Dem entspricht die Angabe der Pflegenden zu den besonders problematischen Zeiträumen in der Versorgung, wobei der Nachtdienst sowie das Wochenende als besonders problematisch herausgestellt wurden, gefolgt von der Versorgung bei Mahlzeiten und bei Untersuchungen.
Dieses sind offenkundig Situationen, in denen entweder die Personaldecke besonders dünn (Nachtdienst, Wochenende) oder der Arbeitsanfall besonders dicht ist (Mahlzeitenausgabe). Über das für die Versorgung eines einzelnen Patienten zur Verfügung stehende Zeitkontingent (im Tagesdienst) gaben die Befragten zu 13 % an, unter 10 Minuten Zeit zu haben, 70 % der Befragten hatte zwischen 10–20 Minuten Zeit, lediglich 17 % hatten über 20 Minuten Zeit. 87 % der Befragten wünschte sich, ein Kontingent über 20 Minuten zur Verfügung zu haben.

Womit kann man helfen?
Als wichtige Informationen (sei es durch die übergebenden Einrichtungen oder Angehörige) wurden bezeichnet: Unruhe/Aggressivität zu 87 %, Inkontinenz zu 63 %, Schlaf- und sonstige Gewohnheiten zu 62 % und lediglich zu 55 % Informationen über Ernährungsgewohnheiten, Bedarfsmedikamente und besondere Fähigkeiten der Patienten. Zusätzliche Hilfe durch Angehörige wünschten sich 87,5 % der Befragten wobei die Anreichung des Essens mit großem Abstand der gefragteste Zeitpunkt der Hilfe darstellte.
Diese Ergebnisse können nicht überraschen, die Erfahrungen innerhalb unseres Verbundes (siehe z. B. den Artikel von Andreas Rath, Seite 3) sind offenkundig bundesdeutsches Gemeingut. Eine organisatorische Anpassung der Krankenhausstrukturen ist aber offensicht lich noch nicht erfolgt, wie auch die Befragung von Füsgen et al. zeigt:
In kleineren Häusern mit einer Betten zahl unter 250 erfolgt die Versorgung von MmD überwiegend auf der Chirurgie bzw. der Inneren Abteilung, erst ab einer Größe von 500 Betten wird zunehmend die Ver sorgung in der Neurologie/Psychiatrie oder sogar einer Geriatrie vorgenommen. Während bei Häusern mit geriatrischer Abteilung die Versorgung überwiegend von dieser vorgenommen wird, gaben kleine und mittlere Häuser immer noch zu 30 %–39 % an, dass keine Versorgung über eine Geriatrie erfolgt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen auf, dass bereits jetzt Kliniken ohne eine spezialisierte Versorgungsstruktur für Menschen mit Demenz vor erheblichen Problemen stehen. Die Abläufe in der Pflege werden empfindlich gestört, ohne ausreichende Personalstärke und Ausbildung wird auf die Störungen nicht ad äquat, bspw. durch Fixierungen, reagiert. Wo keine adäquate geriatrische Versorgung und Pflege erfolgt, dürfte auch der Zustand der Patienten nach Krankenhausaufenthalt entspre chend schlecht sein.

Welche Schlussfolgerungen sind zu ziehen?
Wenn in naher Zukunft bis zu 20 % der Patienten mit Demenz und/oder mehreren somatischen Codiagnosen im Krankenhaus behan-delt werden, immerhin 1/5 des gesamten „Patientengutes“, dann ist zwingend zu fordern, dass zumindest Organisationseinheiten in der Klinik gebildet werden, die in Bezug auf ihre Ausbildung und in Bezug auf den Personalschlüssel die besonderen Herausforderungen von Menschen mit Demenz bewältigen können, ohne Einschnitte in der Versorgungsqualität zu provozieren. Je nach Größe des Hauses wäre auch eine eigene Aufnahmeeinheit des Krankenhauses sinn-voll, die zügig und treffsicher den Bedarf klären und weitere Aktionen des Krankenhauses einleiten kann. Für geriatrische Patienten wäre es sinnvoll, ein Fallmanagement einzuführen, dass die notwendige Vernetzung mit Angehörigen, Betreuern, Pflegediensten und Heimen gleich zu Beginn bzw. begleitend durchführen würde, und das die Leistungen des Krankenhauses in das Gesamtgefüge der medizinischen und psychosozialen Leistungen einzupassen versteht. Das Krankenhaus fungiert hier weichenstellend für die weitere Versorgung.
Interne Zentralisierung der Versorgung geriatrischer Patienten mit Demenz, organisatorische Vernetzung nach Außen, Integration der Leistungen in den psychosozialen Versorgungsverbund, die Liste der zu bewerkstelligenden Aufgaben ist lang. Die Versorgung von Menschen mit Demenz kann aber für ein Krankenhaus zu einer Chance werden, wenn dadurch insgesamt die Versorgungsabläufe chronischer Erkrankungen neu durchdacht und die zusätzlichen Aufwendungen in neue Versorgungskonzepte integriert werden können.

(Die Quellen können im Verbundbüro angefordert werden. Telefon: 030 /30 10 55 52).